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Oma Basulke

Es war einmal in einer großen Stadt, da lebte eine alte Frau. Sie war schon weit über die achtzig aber noch recht rüstig und, wie sie selbst scherzhaft von sich sagte, "fit wie ein Turnschuh". Den Spruch hatte sie von ihren Enkeln, und natürlich wusste sie, daß das doch etwas übertrieben war. Sie war eine nette Oma, und alle Leute nannten sie liebevoll "Oma Basulke".

Eines Tages musste sie zu einem Arzttermin an's andere Ende der Stadt. Sie war stolz darauf, solche Dinge allein zu erledigen, niemanden um Hilfe bitten zu müssen. Wie sie immer sagte, "wolle sie niemandem zur Last fallen". So machte sie sich auf den Weg zur U-Bahn-Station und stieg in den schon bald eintreffenden Zug ein. Den vorletzten freien Sitzplatz ergatterte ein ziemlich ungepflegter junger Mann, den letzten dessen Füße mit total verdreckten Schuhen. Als er Oma Basulke sah, sprang er aber sofort wieder auf und bot ihr seinen Platz an. Er selbst setzte sich auf den verschmutzten Platz. Oma Basulke bedankte sich herzlich und freute sich, den weiten Weg sitzen zu können, denn stehend hätte das ihre alten Knochen und ihr nicht mehr ganz so tüchtiges Herz doch arg mitgenommen.

Soweit das Märchen. In der Realität war es leider doch etwas anders. Der ungepflegte junge Mann dachte garnicht daran, seine Füße vom Sitz zu nehmen, geschweige denn aufzustehen, von der Horde Schüler, die ebenfalls im Abteil saßen, konnte sich auch keiner entschließen seinen Platz frei zu machen (schließlich sind sie es ja, die den nächsten Krieg gewinnen müssen), und andere Leute sahen geflissentlich aus dem Fenster. So stand Oma Basulke über eine halbe Stunde auf ihren schwachen Beinen, bis sie kurz vor ihrem Ziel zusammenbrach. Irgendjemand rief den Notarzt, aber der konnte ihr auch nicht mehr helfen.

Jetzt hat Oma Basulke einen ruhigen Liegeplatz auf dem Friedhof, ist auf keine Hilfe und auf keine Rücksichtnahme mehr angewiesen, und wenn der ungepflegte junge Mann nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute, bequem und rücksichtslos.